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Die Polyvagaltheorie nach Steven Porges

Was haben Säbelzahntiger vor unserer Höhle und der Konsum von verstörenden Nachrichten gemeinsam?

Sie erzeugen Stress und versetzen unseren Körper in Alarmbereitschaft.

Stelle Dir folgende Situation vor:

 

Du fährst Sonntag Nachmittag gemütlich zu zweit mit dem Auto:

Die Sonne scheint, die Landschaft zeigt sich von der schönsten Seite, die Musik spielt leise im Hintergrund, ihr führt ein lustiges, angenehmes Gespräch...

 

...Dein ventraler Vagus ist in Hochform:

  • Du atmest ruhig
  • Dein Herz klopft ruhig
  • Du kommunizierst
  • Deine Verdauung arbeitet
  • Deine Haut ist gut durchblutet
  • Du bist entspannt.

Plötzlich schlägt das Wetter um, es stürmt, es regnet ,als ob der Himmel offen wäre, der Scheibenwischer schafft die Wassermenge fast nicht, Du siehst nicht mehr als 2 m, der Verkehr hat zugenommen und obendrein hast Du einen wichtigen Termin , den Du kaum schaffst...

 

...Dein Sympathikus schaltet sich ein. Der "Säbelzahntiger" ist da. Du bist im Stressmodus, Du wirst Dich kaum unterhalten, den Radio hörst Du nur wegen des Verkehrsfunks, Du bist angespannt hinter dem Lenkrad, fixierst die Straße. Jedes falsche Wort Deines Beifahrers lässt Dich explodieren...

 

...der Sympathikus bringt Dich in höchste (Alarm) Bereitschaft und Anspannung. Du brauchst alle Konzentration um diese Situation zu meistern.

  • Dein Puls geht hoch
  • Die Atmung wird flach
  • Die Durchblutung der Hände und Füße vermindert. Das Gehirn muss jetzt arbeiten
  • Du schwitzt
  • Dein Magen "krampft" sich zusammen
  • Deine Sinnesorgane sind geschärft.

Jetzt gibt es 2 mögliche Ausgänge der Geschichte:

 

1) Happy End:

 

Die Wetter- und Verkehrssituation beruhigt sich, Du schaffst Deinen Termin:

Schön langsam kannst Du wieder durchatmen, Du seufzt, atmest tief aus, Deine Muskeln entspannen sich, der Puls und die Atmung beruhigen sich, Du kannst wieder lachen und kommunizieren.

 

Du bist wieder im Vagotonus, Dein Parasympathikus ist wieder aktiv und Du wirst ruhig und entspannt.

 

Je länger Stresssituationen andauern, je heftiger und häufiger sie sind, desto schwieriger kann es werden, sich wieder zu beruhigen!!

Auch Erfahrungen aus der Vergangenheit, frühere schlechte Ausgänge, eine schon von Anfang an hohe Stresssituation können das Beruhigen und Entspannen sehr erschweren.

 

HFV (Herzfrequenzvariabilität):

Durch die Messung Deiner Herzfrequenz in Stress- und Entspannungssituationen und die Dauer kann man erkennen, wie gut Dein vegetatives Nervensystem arbeitet.

 

2) Unfall:

 

Plötzlich verlierst Du die Kontrolle über das Auto, Du kommst von der Fahrbahn ab, das Auto überschlägt sich und kommt auf dem Dach zu liegen. Dein Herz steht für einen Moment still, Du bist im Schock, Du spürst nichts, bist eventuell sogar kurz ohnmächtig...

 

...Der dorsale Vagus, Dein absolutes Notfallprogramm ist eingeschaltet: Rückzug, Abspaltung und Totstellreflex. Alle verzichtbaren Körperfunktionen werden auf ein Minimum heruntergefahren, Schockstarre. Du spürst auch keinen Schmerz:

  • Haut ist fahl, blass, wächsern
  • Tunnelblick, kaum Blickkontakt
  • Eventuell Erinnerungslücken
  • Starr, zusammengerollte Haltung
  • Zeitweiliger Atemverhalt
  • Verdauung verlangsamt
  • Geh- und Koordinationsstörungen.

Wichtige und richtige Reaktion:

  • Körper warm halten
  • Da sein, aber nicht zu viel auf die Person einreden (Überforderung)
  • Kommt der Körper aus der Schockstarre, beginnt er unwillkürlich zu zittern.
  • Das Zittern auf keinen Fall unterbrechen! Es ist die Möglichkeit des Körpers wieder aus dem dorsalen Vagotonus zu kommen und sich zu beruhigen. Eventuell sogar ermuntern.
  • Unterbricht man diese Reaktion kann die Person unter Umständen lange an den Konsequenzen leiden und ein Trauma hat sich entwickelt.

 


Polyvagal Theorie von Steven Porges erklärt:



Wie entsteht ein Trauma?

1) Entspannung

2) Entspannung/Anspannung: normaler Verlauf

3) Schock mit optimalem Ausgang

4) Schock, der zu einem Trauma wird.


Natürlich sind Säbelzahntiger ausgestorben und nicht jeder von uns hatte Gott sei Dank einen Unfall.

 

Aber es gibt auch andere Gründe, die unser Nervensystem fordern.

Warum können wir ständig in Alarmbereitschaft sein, auch wenn wir uns manchmal dessen nicht einmal bewusst sind?

  • Tägliche negative Nachrichten,
  • Stress im Beruf,
  • Beziehungsprobleme,
  • Zu wenig Wertschätzung,
  • Einsamkeit
  • Krankheiten
  • Pflege von Angehörigen
  • Erziehungsüberforderung
  • Zukunftsängste
  • Geldsorgen

Was kann ich tun?

  • Ursachen und Auslöser erkennen und definieren
  • Unter Umständen brauche ich professionelle Unterstützung
  • Nachrichtenentzug
  • Soziale Kontakte pflegen
  • Hilfe holen
  • Probleme ansprechen
  • Bewegung und/oder Entspannung
  • Nervus Vagus Stimulation (Nächster Artikel)

Was soll ich nicht tun?

  • Alkohol und Drogen zur Entspannung nehmen
  • Psychopharmaka nur in Ausnahmefällen und nach ärztlicher Absprache
  • Sich sozial zurückziehen.

Dissoziation:

 

Ist die Funktion des Nervensystems, bestimmte Erinnerungen, Sachverhalte oder Themen abzuspalten oder aus der Wahrnehmung auszusparen.

Es dient dem Überleben, denn oft steht hinter einer solchen Abspaltung die besondere Härte eines einmaligen Erlebnisses oder ein länger ansteuernder Zustand.

Zum Beispiel die Erinnerungslücke nach einem Autounfall.

Diese kann Sekunden, Stunden, Tage oder sogar Jahre bestehen bleiben.

Dissoziation ist dem Betroffenen nicht immer bewusst, besonders, wenn der Zustand seit der Kindheit anhält und daher als normal angenommen wird.

 

Wie äußert sich Dissoziation?

  • Defizite in der Selbst- und Außenwahrnehmung
  • Taubheitsgefühle oder Lähmungen
  • Krampfanfälle
  • Wattegefühl im Kopf, Gefühl hinter einem Vorhang zu sein.
  • Bewegungsminderung bis hin zur Starre
  • Koordinationsstörungen 
  • Seh-, Hör-, Geruch-, Geschmacksstörungen
  • Sprachstörungen
  • Konzentrationsstörungen
  • Entfremdungsgefühl dem eigenen Körper oder Körperteilen gegenüber
  • Mangelndes Gespür für den eigenen Körper.

Die gute Nachricht:

Dissoziation ist ein funktioneller Zustand und kann erfolgreich behandelt werden.

Ziehe unbedingt einen Arzt, Psychologen oder Psychotherapeuten zu Rate.

(Der Vagusnerv, Unser innerer Therapeut; Sandra Hintringer)



Quellen:

Viszerale Therapie

Polyvagal Theorie; Stephen Porges

Der Vagusnerv; Sandra Hintringer

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